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Sondersitzung AGRAR digital: Eiweißhunger - Zwischen Lebensmittelkonkurrenz und Kreislaufwirtschaft

Verfasst von Lena Rieble am 09.10.2020 unter Unternehmensnews

Am Morgen des 8. Oktober diskutierten Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und (Land-)Wirtschaft bei der 12. Runde der Sondersitzung AGRAR über „Eiweißhunger“ – u. a. über die Rolle von klassischen und alternativen Proteinquellen in der Ernährung der Zukunft und die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen mit Blick auf die Konkurrenz zwischen Tierfutter- und Nahrungsmittelproduktion. Mehr als 140 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft nahmen live teil. Sie haben die Veranstaltung verpasst? Hier können Sie sich die Aufzeichnung noch einmal ansehen.

Renate Künast, Mitglied des Deutschen Bundestages sowie ernährungs- und tierschutzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hob in Ihrem Impuls hervor, dass Fleisch über Jahrhunderte hinweg ein „Luxusgut“ war und sich der Konsum erst in den letzten 60 Jahren vervierfacht habe. Dennoch habe inzwischen sowohl bei Verbrauchern als auch Unternehmen eine „Fleischwende“ stattgefunden. Begründet würde dies durch Argumente wie Gesundheit, Tierwohl und Klimaschutz, aber auch aufgrund der selbstbewussteren Verbraucher, welche Produktionsbedingungen hinterfragen, so Künast. Das zeige sich auch an den Umsatzentwicklungen klassischer Fleischbetriebe mit veganen Produkten. Alternative Proteine hätten das Potenzial, disruptiv zu wirken. „Jetzt haben wir die Chance des Umbaus auf regionale Wertschöpfung, auf mehr Vielfalt, Klimaschutz, Biodiversität“, betonte Künast. Man müsse jedoch aufhören, Agrarpolitik weiterhin rein sektoral zu sehen. Man müsse neu denken, und Landwirtschaft und Ernährungspolitik zusammenbringen.

Prof. Dr. Reiner Brunsch, Sprecher des Leibniz Forschungsverbundes „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“, stellte die nachhaltige Produktion tierischer Proteine in den Mittelpunkt seinen wissenschaftlichen Vortrages. Prognosen zeigten eine steigende Nachfrage nach tierischen Proteinen in allen Regionen der Welt. Aktuell werde bereits 77 Prozent der globalen landwirtschaftlichen Fläche genutzt, um Nutztiere zu ernähren, doch diese decken nur etwa ein Drittel des menschlichen Proteinbedarfs. „Wir brauchen eine Transformation zu nachhaltigen Ernährungssystemen – das ist eine transdisziplinäre Herausforderung“, sagt Brunsch und betont, dass man von der (Wertschöpfungs-)Kette zum Kreislauf kommen müsse. Sein Fazit: „Wir brauchen keine neuen Proteinträger, sondern vor allem sozialwissenschaftliche Innovationen!“

Dr. Pasi Vainikka, CEO und Co-Gründer von Solar Foods, zog in seinem Impuls Parallelen zwischen der Entwicklung in der Informations- und Kommunikationstechnologie und dem Ernährungssektor. Die Lebensmitteltechnologie erhalte große Investitionen von Risikokapitalgebern und so werde eine neue Ära der Lebensmittelproduktion entstehen, betonte Dr. Vainikka. Solar Foods sei ein Beispiel dieser Entwicklung: Die entwickelte Plattformtechnologie erlaube eine neue Erntemöglichkeit für ein neues Protein für die Menschheit.

Im anschließenden Expertengespräch sprachen die Panellisten über die Ernährung der Zukunft. Renate Künast stellte klar, dass die Diskussion über die Ernährung der Zukunft auch immer die Landwirtschaft und mögliche Agrarreformen einbeziehen müsse. Die zur Verfügung stehende Ackerfläche werde sich reduzieren. Um hier entgegenzusteuern, müsse man überlegen, wie man die Ackerflächen möglichst effizient nutzen könne. Die Nutzung der Ackerfläche für die Futtermittelerzeugung könne – aufgrund des von Prof. Brunsch beschriebenen Zusammenhangs zwischen Flächenverbrauch und Proteinerzeugung – als „ineffiziente Wirtschaftsweise“ bezeichnet werden. „Meines Erachtens werden wir uns immer stärker pflanzlich ernähren“, kommentierte Künast.

Susanne Schulze Bockeloh, Landwirtin und Vorsitzende des landwirtschaftlichen Kreisverbandes Münster (WLV), betonte, dass die Ernährungstrends auch auf dem Land diskutiert würden und kein reines Städtethema seien. „Ich bin mir sicher, dass die Ernährung der Zukunft nicht ein entweder/oder, sondern ein sowohl/als auch sein wird“, sagte Schulze Bockeloh. Sie sie sich sicher, dass sowohl Fleisch weiterhin konsumiert würde, aber gleichzeitig auch pflanzliche Proteine eine größere Rolle spielen werden. In diesem Mix böten sich der Landwirtschaft große Chancen, da pflanzliche Proteine produziert werden müssen.

Prof. Dr. Wilhelm Windisch, Inhaber des Lehrstuhls für Tierernährung an der Technischen Universität München, vertiefte die Problematik der Lebensmittelkonkurrenz. Nur etwa 10 bis 20 Prozent der pflanzlichen Biomasse sei überhaupt essbar, sodass jedes Kilogramm an veganer Produkte erzeugen das Fünffache an nicht essbarer Biomasse. Diese Biomasse müsse nun möglichst effizient und umweltschonend in den Kreislauf zurückgeholt werden. „Wir werden in Zukunft wieder vermehrt auf Wiederkäuer setzen müssen, denn nur die Wiederkäuer (…) sind in der Lage, nicht essbare Biomasse zu verwerten“, so Prof. Windisch. Durch die richtige Proteinversorgung in der Tierernährung könne man zudem viel erreichen und z. B. Stickstoffemissionen deutlich reduzieren. Cultured Meat, für dessen Produktion Pflanzen für die Nährlösung benötigt werden, und Insektenproteine seien große Lebensmittelkonkurrenten für den Menschen. Um diese Konkurrenz zu vermeiden, sollten Insekten mit nicht essbarer Biomasse gefüttert werden. Die Herausforderung aller Produktionsformen sei es, die nicht essbare Biomasse in Moleküle zu zerlegen, aus denen Nährstoffe gewonnen werden können und die Nährstoffströme zu vernetzen.

Fabio Ziemßen, Geschäftsführer der NX Food GmbH und Vorsitzender von BALPro e.V., erklärte, dass die neue Generation alternativer Proteinquellen in Textur und kulinarischem Profil sehr stark den Originalen ähnelten. Das ermögliche es vor allem den Flexitariern in die pflanzliche Ernährung umzusteigen. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und muss in ganz einfachen Schritten in eine neue Ernährung geführt werden“, sagt Ziemßen. Vegane und vegetarische Ernährung sei kein Nischenthema von Ideologen, sondern es stehe für einen modernen Lebensstil. Es entstehe gerade ein alternatives „Food-Universum“. Der Verbraucher erkenne, dass man auf ein effizientes Ernährungssystem zusteuern müsse. Dabei gewinne auch die Integration von lokalen Proteinquellen mehr und mehr an Bedeutung. „Der Schlüssel liegt in einem diversen Food-System, wo wir uns verschiedener Quellen bedienen“, fasste Ziemßen zusammen. So könne jeder Konsument sein eigenes kulinarisches Profil erstellen. Auf Produktionsseite biete die Biotechnologie neue Möglichkeiten, Alternativen zu schaffen, die nicht substituierend, sondern komplementär wirken werden.

Zusammenfassend waren sich die Expertinnen und Experten einig, dass es in Zukunft darum gehen werde, verschiedene Proteinquellen – klassisch und alternativ – zu kombinieren, Kreisläufe zu schließen und sektorale Grenzen zu überwinden, um eine kluge Agrarpolitik und nachhaltige Landwirtschaft zu ermöglichen.

Wir danken unseren Partnern, der Bayer AG, Dr. Eckel Animal Nutrition GmbH & Co. KG und dem U.S. Soybean Export Council (USSEC), der agrarzeitung als Medienpartner sowie dem Deutschen Bauernverband (DBV) als ideellem Partner.

Das schreiben andere über die Veranstaltung:

Bei Interesse an der Veranstaltungsreihe und einer Teilnahme wenden Sie sich bitte mit einer E-Mail an agrar@sondersitzung.berlin.

Nächster Termin: Frühjahr 2021

Unser Hashtag in sozialen Medien: #SoSiAGRAR

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