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BLOG: „Tierfütterung und Tierwohl sind eng miteinander verbunden“ – Interview mit Dr. Antje Eckel, CEO von Dr. Eckel Animal Nutrition

Verfasst von Lena Rieble am 27.08.2021 unter Unternehmensnews

Die weltweite Nachfrage nach Proteinen steigt. Wie hängen der „Eiweißhunger“ einer wachsenden Weltbevölkerung und die Tierernährung zusammen? Wie können Tierwohl und Tiergesundheit durch die Fütterung verbessert werden? Und ist es möglich, durch die Fütterung den Antibiotika- und Medikamenteneinsatz in der Tierhaltung zu verringern? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Antje Eckel, Geschäftsführerin der Dr. Eckel Animal Nutrition GmbH & Co. KG und Expertin für Tierernährung, im Interview.

Im Interview: Dr. Antje Eckel (Bildquelle: Dr. Eckel Animal Nutrition)

Für Menschen und Tiere sind Proteine (Eiweiße) ein essentieller Nahrungsbestandteil. Die weltweite Nachfrage nach Proteinen steigt, während sich die Essgewohnheiten in einigen Ländern stark ändern. Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des „Eiweißhungers“ allgemein ein?

In einigen Regionen der Welt steht ein Überhang an Eiweiß zur Verfügung, in anderen Regionen ist die Eiweißversorgung unzureichend. Nach wie vor leiden rund neun Prozent der Weltbevölkerung Hunger. Das sind rund 700 Millionen Menschen. In den nächsten fünf Jahren kommen voraussichtlich weitere 60 Millionen Menschen dazu. Unser Ziel muss es sein, dem entgegenzuwirken. Dafür benötigen wir ein sinnvolles Miteinander unterschiedlicher Proteinquellen: pflanzliche Proteine, Fleischersatzprodukte, In-vitro-Fleisch und tierische Proteine wie Fleisch, Ei und Milch. Entscheidend ist die Erzeugung. Lebensmittel, die nicht nachhaltig erzeugt werden, haben keine Zukunft.

Wir wissen, dass sich das Verbraucherverhalten mit Blick auf tierisches Eiweiß verändern wird, hin zu einer größeren Wertschätzung für hochwertige Produkte. Vorherige Generationen in Deutschland wuchsen in einer Mangelzeit auf, in der Fleisch nicht häufiger als einmal pro Woche konsumiert wurde. Diese Generationen hatten einen Nachholbedarf, der so nicht mehr besteht. Heute geht es darum, global verantwortungsbewusst zu denken und zu überlegen: Was esse ich und wo kommt es her? In Europa werden wir weniger tierisches Eiweiß, dafür in höherer Qualität, konsumieren und damit ein Vorreiter sein.

Und es wird normal sein, das Tierwohl auf allen Ebenen zu fördern. Auch mit unseren Kunden in den Schwellenländern, insbesondere in Asien, diskutieren wir bereits intensiv über Tierwohl. Und das, obwohl es in vielen Ländern der Welt noch Aufholbedarf mit Blick auf die Eiweißversorgung gibt. In Kenia erkennt man an der Entwicklung der Eierpreise, die stark von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abhängen, wie groß der Eiweißhunger der Bevölkerung ist. Und in Malaysia dient die Schulspeisung dazu, allen Kindern genügend Eiweiß zur Verfügung zu stellen, um die Gehirnentwicklung zu fördern. Situationen, die wir uns in Europa nicht mehr vorstellen können. In den Entwicklungs- und Schwellenländern werden wir also weiterhin eine Zunahme beim Verbrauch von tierischem Eiweiß beobachten, jedoch nicht bis zu dem Niveau, das in Europa oder Nordamerika vorliegt. Globalisierung bedeutet auch Angleichung – die einen konsumieren mehr, die anderen weniger und man trifft sich in der Mitte. Das gilt für tierisches Eiweiß ganz genauso.

Welche Rolle spielt die Tierernährung in dieser Hinsicht?

Der Futterverbrauch wird global zunehmen, auch wenn in einigen wohlhabenden Ländern weniger Fleisch konsumiert wird. Das ist sowohl für den Verbraucher als auch den Landwirt relevant, denn etwa 70 Prozent der Kosten in der Produktion landwirtschaftlicher Nutztiere sind Futterkosten. Die Produktion wird regionaler, hochwertiger, nachhaltiger und damit auch anspruchsvoller für die Tierernährung. Die Fütterung spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, aus weniger mehr zu machen. Unsere weltweit verfügbaren Ressourcen sind begrenzt. Wenn die Bevölkerung wächst und wir sie gesund ernähren wollen, müssen wir darauf achten, Rohstoffe optimal zu verarbeiten. Es geht also um eine bestmögliche, effiziente Tierernährung, die auch das Wohl der Tiere im Blick hat. Zudem müssen Ausscheidungen und Emissionen reduziert werden, sodass die Tierhaltung die Umwelt so wenig wie möglich belastet. Hier gibt es noch großes Potenzial für Innovationen.

Wir müssen uns auch die Frage stellen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Mit Blick auf die Ressourcen besagt die Wissenschaft, dass die extensive Tierhaltung häufig nicht besonders nachhaltig ist, weil nicht optimal gefüttert wird und Ausscheidungen nicht optimal reduziert werden. Hier entsteht eine Diskrepanz zwischen der Wissenschaft und der öffentlichen Wahrnehmung. In der Gesellschaft gibt es eine märchenhafte Vorstellung davon, wie ein Landwirt zu arbeiten hat. Die Landwirte stehen oft unter Beschuss, haben aber in den vergangenen Jahren auch viel Sympathie gewonnen. Es gibt keinen Landwirt, dem das Wohl der Tiere nicht wichtig ist! Das muss man sich einfach mal klarmachen und darüber werden wir in Zukunft auch stärker mit den Konsumenten kommunizieren müssen. Denn der Verbraucher, der die landwirtschaftlichen Erzeugnisse kauft und konsumiert, entscheidet mit.

Tierfütterung und Tierwohl sind eng miteinander verbunden. (Bildquelle: Andreas Göllner/Pixabay)

Welche Ansatzpunkte gibt es, um das Tierwohl in der Lebensmittelproduktion nachhaltig zu steigern?

Eine der größten Herausforderungen der modernen Tierhaltung ist die nachhaltige, effiziente Verbesserung des Tierschutzes. Wichtige Faktoren im Tierschutz sind das Stallklima sowie Verhalten, Gesundheit und Hygiene der Tiere. Eine wichtige Grundlage für den Tierschutz sind die „Fünf Freiheiten“ des britischen Farm Animal Welfare Council: An erster Stelle steht die Freiheit von Hunger und Durst. Die Freiheit von Unbehagen schließt Aspekte wie Platz und Licht in der Haltung ein. Die Freiheit von Schmerzen, Verletzungen und Krankheit, von Angst und Not sowie die Freiheit, normales Verhalten auszuleben, vervollständigen die Liste. Diese Freiheiten hören sich zunächst selbstverständlich an, waren in der Vergangenheit jedoch nicht immer und überall gegeben. Was als normales Verhalten von Tieren gilt, wird beispielsweise noch immer intensiv erforscht. Es gibt in allen fünf Punkten noch Entwicklungspotenzial.

Die genannten Aspekte sind auch eng mit der Fütterung verbunden. Offensichtliche Aspekte wie Hunger und Durst, aber auch Verhaltensanomalien können durch bedarfsgerechte Fütterung verbessert werden. Insbesondere Futterzusätze können wichtige Tierwohlindikatoren beeinflussen. Die richtige Futterzusammensetzung kann Entzündungen vorbeugen, Stress reduzieren, die Magen-Darm-Gesundheit fördern, Wohlbefinden und Vitalität steigern sowie Ressourcen optimieren. Die Fütterung ist somit eine zentrale Voraussetzung für eine tiergerechte Haltung.

Wie kann man durch die Fütterung Tierwohl und Tiergesundheit konkret verbessern?

Zum einen gibt es den traditionellen Ansatz, die Versorgung der Tiere zu optimieren, denn ein gut ernährtes Tier ist gesünder und stabiler. Darüber hinaus gibt es jede Menge weiterer Möglichkeiten. Ich vergleiche das gerne mit dem Humanbereich. Was tun Menschen, wenn sie gestresst sind oder Magenprobleme haben? Sie trinken zum Beispiel einen Kamillentee. Solche altbewährten Wirkstoffe können auch unseren Tieren auf natürliche Weise helfen. Beim Menschen hat man außerdem in jüngster Zeit herausgefunden, dass über die sogenannte Darm-Hirn-Schranke ein gestörtes Verdauungssystem Auswirkungen auf den ganzen Menschen hat und die Anfälligkeit für Depressionen erhöht. Das bestätigt, wie wichtig Ernährung für Wohlbefinden und Gesundheit ist.

Auch Tiere reagieren oft mit verändertem Fressverhalten, wenn es ihnen nicht gut geht. Stress, der zum Beispiel durch hohe Temperaturen oder Trächtigkeit entstehen kann, führt oft zu Magen- und Verdauungsproblemen und wirkt sich negativ auf die Darmflora aus. Über pflanzliche Wirkstoffe im Tierfutter können wir die Verdauung fördern und mit einem gesunden Magen das Wohl des Tieres unterstützen. In der Tierfütterung werden inzwischen zum Beispiel neben den pflanzlichen Zusätzen, den Phytogenen, standardmäßig Pro- und Präbiotika eingesetzt.

Probiotika sind lebende Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien oder Hefen, die sich positiv auf die Verdauung auswirken. Sie werden für eine gute Darmflora und zur Abwehr von gefährlichen Keimen benötigt.

Präbiotika sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, also Ballaststoffe, wie zum Beispiel Oligosaccharide, die sich in Getreide, Obst oder Gemüse finden. Sie liefern das „Futter“, das die „guten Bakterien“ im Verdauungssystem zum Leben brauchen, und regen deren Bildung an.

Aktuell geht die Tendenz hin zur Bewertung des Tiers als Individuum, nicht als Teil der Gruppe. Große Konzerne investieren bereits in die digitale Tierhaltung. Das bedeutet, dass beispielsweise kranke Tiere frühzeitig identifiziert werden können, die Tiere individuell versorgt werden und ihr Wohlbefinden durch gezielte Fütterung gestärkt wird.

„Die Fütterung ist eine zentrale Voraussetzung für eine tiergerechte Haltung.“ (Bildquelle: Andreas Göllner/Pixabay)

Tierwohl und Nachhaltigkeit sind für Landwirte und Gesellschaft bedeutende Themen. Was muss sich in Deutschland ändern, um hier Fortschritte zu erzielen? Und welche Unterstützung benötigt die heimische Landwirtschaft?

Zunächst ist es notwendig, dass die Gesellschaft lernt, dass gute Qualität ihren Preis hat. Wir müssen uns von dem „Geiz ist geil“-Gedanken wegbewegen, wenn wir über Ernährung sprechen. Denn letztendlich entscheidet der Verbraucher im Supermarkt, was der Landwirt produziert. In Deutschland ist der Stellenwert der Lebensmittel nicht so hoch wie zum Beispiel in Italien oder Frankreich, wo der Verbraucher schon immer bereit war, mehr Geld für ein Tier aus einer gewissen Haltungsform zu bezahlen. Ich glaube aber, dass dieser Lernprozess bereits im Gange ist. Landwirte müssen die Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. Der Landwirt, der Tiere hält, wird mit Freude mehr für das Tierwohl tun, wenn es nicht auf seine eigenen Kosten geht. Denn der finanzielle Spielraum ist nicht allzu groß.

Wenn wir entscheiden, dass Lebensmittel preiswert bleiben sollen, dann müssen wir uns Gedanken machen, wofür Landwirte bezahlt werden – wenn nicht für die Lebensmittel, dann vielleicht für die Landschaftspflege? Und wir müssen entscheiden, ob wir hier vor Ort Lebensmittel produzieren wollen oder ob wir damit einverstanden sind, sie zu importieren. Was bringt es, wenn wir hier hohe Standards für Umwelt und Tierhaltung setzen und dann billige Produkte aus Ländern mit niedrigeren Standards importieren und dort die Umwelt belastet wird? Das hat etwas mit Verantwortung zu tun. Und die Corona-Pandemie hat uns gerade erst gezeigt, dass die Weltmärkte auch ins Straucheln geraten können.

Vor kurzem habe ich einen Artikel mit der Headline „EU verliert an Bedeutung“ gelesen. Diese Meinung wird mit der Ökologisierung der Landwirtschaft begründet. Für Rohstoffe mag das zutreffen, aber für unsere Branche sehe ich das anders. Ökologisierung bedeutet für uns, dass wir eine globale Vorreiterrolle haben. Ja, es wird weniger Fleisch konsumiert werden. Wir als Unternehmen werden uns daran anpassen und das tun, was wir am besten können: Lösungen suchen und Vorreiter sein für die Veränderungen, die kommen werden.

Sie haben gerade Ihr Unternehmen angesprochen. Es gilt in der Futtermittelbranche als Pionier – woran liegt das?

Wir waren eines der ersten Unternehmen, das Produkte speziell für die Verbesserung des Tierwohls entwickelt hat. Unser Fokus war es, antibiotische Leistungsförderer und den Medikamenteneinsatz zu reduzieren sowie das Wohlbefinden der Tiere zu fördern. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Gesellschaft noch gar keine Vorstellung davon hatte, dass Tierproduktion auch ohne Antibiotika möglich ist. Wir sind mit Überzeugung und Leidenschaft für Zusatzstoffe eingetreten, die eine nachhaltige Tierproduktion fördern und ökonomisch sinnvoll sind. So haben wir schon Probiotika ins Tierfutter gebracht, als dieser Trend gerade erst in der Humanernährung aufkam. Es ging uns immer darum, neue, gute Ideen umzusetzen, die die Branche braucht, die aber gleichzeitig auch für die Landwirte finanzierbar sind. Leider gilt beim Tierwohl auch heute der erste Gedanke noch immer den Haltungsformen. Letztendlich geht es jedoch um das Zusammenspiel von Haltung und Fütterung. Wir haben in den letzten Jahren massiv darum gekämpft, das Bewusstsein unserer Kunden hierfür zu wecken. Das Thema Tierfütterung gehört stärker in die Öffentlichkeit. Denn mit der Fütterung fängt alles an.

Über Dr. Eckel:

Die Dr. Eckel Animal Nutrition GmbH & Co. KG wurde 1994 als Handelsunternehmen gegründet, das zunächst nur den deutschen Markt betreute. Heute erzielt der Hersteller von innovativen Futterzusätzen für Nutztiere etwa 60 Prozent des Umsatzes im Ausland und beschäftigt hochqualifizierte Fachkräfte aus über 17 Nationen. Ziel des Unternehmens war es von Beginn an, neue Wege in einer konservativen Branche aufzuzeigen – durch die Entwicklung von innovativen Produkten, die den Einsatz von Antibiotika in der Tierfütterung reduzieren und die Tiergesundheit fördern. Mit Erfolg: Das Unternehmen gewann im Jahr 2012 den Innovationspreis für Tierwohl durch Fütterung.

Mehr zum Thema:

Eiweißhunger stand im Zentrum der 12. Runde der Sondersitzung AGRAR, einer Veranstaltungsreihe von Genius. Lesen Sie hier unsere Zusammenfassung des Events: Eiweißhunger – Zwischen Lebensmittelkonkurrenz und Kreislaufwirtschaft oder sehen Sie sich hier den Mitschnitt des Events an.

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