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Sondersitzung GESUNDHEIT: Gesundheitsdaten

Verfasst von Lena Rieble am 29.05.2020 unter Unternehmensnews

Bei der dritten Sondersitzung GESUNDHEIT, die am 28. Mai 2020 erstmals digital stattfand, diskutierten Expertinnen und Experten über den Umgang mit hochsensiblen Gesundheitsdaten – ob bei der Umsetzung der elektronischen Patientenakte oder ganz aktuell bei Corona-Tracking-Apps. Zu früher Stunde um acht Uhr verfolgten 130 Gäste die Veranstaltung live und stellten dabei ihre Fragen an die Speaker. Sie waren nicht dabei? Kein Problem. Die Veranstaltung können Sie hier nachträglich anschauen.

Mario Brandenburg, Mitglied des Deutschen Bundestages und technologiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sprach sich im ersten Impuls des Morgens für einen offenen Umgang mit Gesundheitsdaten aus. In Deutschland würden gute Ideen – Stichwort elektronische Patientenakte – oft politisch zerredet, wodurch wichtige Entwicklungen verschlafen würden. Auch bei der geplanten Corona-App habe die Herangehensweise der Politik viel Akzeptanz zerstört. Die Zustimmungswerte der Bevölkerung sanken stark, z. B. durch die Diskussion um die Nutzung von Bewegungsdaten von Telefonanbietern. Dennoch biete die Nutzung digitaler Daten unendliche Chancen für die Gesundheit der Menschen, z. B. durch die personalisierte Medizin oder Genomdaten. „Ich habe mehr Angst davor, Innovationen und Chancen auf Heilung zu verpassen, als davor das wir letzten Endes an der einen oder anderen Stelle nachbessern müssen“, so Brandenburg.

In seinem wissenschaftlichen Impuls betonte Prof. Dr. Roland Eils, Gründungsdirektor des Digital Health Center am Berlin Institute of Health (BIH) und Koordinator des Medizininformatik-Konsortiums HiGHmed, die Chancen für die Versorgung von Patienten, die durch die Nutzung von digitalen Daten entstehen. Dieses Potenzial werde aber in Deutschland noch nicht genutzt. Man liege laut einer Erhebung der Bertelsmannstiftung aus dem Jahr 2018 international auf dem vorletzten Platz im Bereich der Digitalen Gesundheit. Die Umsetzung einer forschungskompatiblen elektronischen Patientenakte und die Möglichkeit ab 2023, Daten freiwillig der medizinischen Forschung zur Verfügung zu stellen, kämen zudem viel zu spät. Trotz aller Versäumnisse gebe es dennoch Hoffnung für die Zukunft. Die Auswertung von klinischen Daten von als austherapiert geltenden Krebspatienten ermöglichte eine datenbasierte Behandlungsempfehlung für vier von fünf Patienten. Das Fazit: „Klinische Studien zeigen, dass Daten teilen Leben retten hilft.“

Gerade bei der Erforschung seltener Erkrankungen, von denen in Deutschland vier Millionen Menschen betroffen sind und die sich in 7.000 unterschiedlichen Krankheiten manifestieren, komme es auf Zugang und Nutzung von Daten an, sagte Dr. Dirk Maessen, Director Business Unit Rare Diseases bei Kyowa Kirin. Bis zur richtigen Diagnose dauere es derzeit durchschnittlich länger als vier Jahre und 40 Prozent der Patienten erhielten mindestens eine Fehldiagnose. Diese Situation bedinge geradezu einen Ansatz, der Algorithmus-basiert Faktenzusammenhänge sichtbar mache, die auf den ersten Blick nicht erkenntlich seien. Auch in der klinischen Forschung sei die Sammlung von Gesundheitsdaten wichtig. Das Risikoverständnis in Deutschland sei jedoch sehr hoch, weshalb Leuchtturmprojekte die Erfolge digitaler Strategien klarer aufzeigen sollten. Auch Anreize zur Datenbereitstellung seien denkbar, denn: „Überall da wo qualitätsgesicherte Daten anfallen und ausgewertet werden sollen, kann man sicherlich auch Instrumente zur Belohnung einführen“, sagte Maessen.

Monika Rimmele, Global Liaison Lead Digital Health bei Siemens Healthineers, hob die Relevanz der Datennutzung für die Qualitätssicherung von Medizinprodukten hervor. Außerdem könnten KI-basierte Systeme Ärzte bei der Diagnosestellung und Therapieauswahl unterstützen. Zur elektronischen Patientenakte sagte sie: „Der Versicherte ist der Dreh- und Angelpunkt.“ Außerdem sei es sinnvoll von einer digitalen Gesundheitsakte statt der Patientenakte zu sprechen, da der Versicherte nicht durchgehend Patient ist. Ein gutes Einwilligungsmanagement ermögliche es dem Versicherten, die Zugriffsrechte individuell festzulegen und zu aktualisieren.

Dr. Elke Steven, Geschäftsführerin der Digitalen Gesellschaft, stellt klar, dass Datenschutz kein Hindernis ist. Die demokratische Diskussion darüber, wie Daten genutzt werden, wie für ihre Sicherheit gesorgt und ihre Nutzung demokratisch legitimiert werden muss, seien Kernthemen der Digitalen Gesellschaft. Denn es gehe auch darum, Grund- und Menschenrechte zu schützen. Konkret im Medizinsystem bestehe die Gefahr, dass Menschen auf ihre gespeicherten Daten reduziert würden. Denn bei einer rein analytischen Auswertung von Daten gehe die Komplexität des Menschen verloren. Das mache es notwendig, dass jede und jeder selbst entscheiden können müsse, welche Daten genutzt werden. „Diese Diskussion, die in einer Demokratie notwendig ist, führt auch dazu, dass sich Forschungsprojekte rechtfertigen müssen“, so Steven. Denn nicht jede Forschung sei im Interesse der Allgemeinheit.

„Die elektronische Patientenakte ist ein ganz dunkles Kapitel der Gesundheitspolitik“, stellte Hendrik Dräther, Leiter des Forschungsbereichs Ambulante Analysen und Versorgung beim Wissenschaftlichen Institut der AOK, fest. Das sei aber keine Folge des Datenschutzes, sondern liege an Interessenkonflikten zwischen Leistungserbringern und Kassenversicherten. Ebenfalls wurde am Morgen über das Forschungsdatenzentrum diskutiert. Dazu merkte Drähter an, dass es sich hier um keine Datenspende durch die Versicherten handle: „Keiner von uns wird gefragt, ob wir das haben wollen.“ Die Daten seien zwar pseudonymisiert und anonymisiert, aber würden nun für einen anderen Zweck genutzt, als sie ursprünglich von den Kassen erhoben wurden.

Peter Albiez, Country Manager Deutschland bei Pfizer, betonte: „Die Zukunft der Medizin ist digital.“ Die datenbasierte Forschung sei zentral, um innovative Medikamente, Impfstoffe und neue diagnostische Methoden zu entwickeln. Dabei gehe es auch um die Frage, wo in der Welt die besten Rahmenbedingungen für diese Forschung existieren. Deutschland liege im hinteren Bereich, was den Zugang zu Daten und den Aufbau von Datenbanken betrifft. Andere Länder – auch in Europa – gingen mutiger voran. In Deutschland werde außerdem zwischen öffentlicher und privatwirtschaftlicher Forschung unterschieden. „Wenn wir aus den Daten Anwendungen erzeugen wollen, dann braucht es die privatwirtschaftliche Forschung“, kommentierte Albiez. Daher müssten auch privatwirtschaftlich finanzierte Forschungsunternehmen Zugriff auf Forschungsdatenzentren haben.

In der Schlussrunde beantworteten alle Teilnehmer die Frage, wie eine Corona-App gut umgesetzt werden könnte. Brandenburg plädierte zum Abschluss, die App jetzt umzusetzen: „Wir dürfen sie jetzt nicht mehr zerreden, oder im ersten Schritt zu viel verlangen.“ Dem individuellen Bürger müsse es erlaubt werden, seine Daten zu teilen, forderte Eils. Weiterhin wurde deutlich, wie wichtig es ist, Vertrauen aufzubauen und die Kommunikation mit den mündigen Bürgern in den Vordergrund zu stellen. Der mündige Bürger müsse lernen, Entscheidungen zu treffen, so Rimmele. Man müsse transparent zeigen, was mit den Daten gemacht werde, betonte Albiez, während Maessen sich dafür aussprach, den Nutzen der App klar darzustellen. Dennoch sei es wichtig, Sicherheit für die Nutzer zu schaffen und klar zu stellen, wofür die Daten wirklich gebraucht würden, sagt Steven. Auch Dräther bemerkte, dass man in den nächsten Monaten und Jahren sehen würde, ob die Daten in Zukunft auch noch für weitere Zwecke genutzt werden.

Sondersitzung GESUNDHEIT wird unter anderem durch unsere Unterstützer ermöglicht. Wir danken daher Kyowa Kirin Deutschland, Pfizer, dem Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sowie unserem Partner, dem VDI Technologiezentrum.

Bei Interesse an der Veranstaltungsreihe wenden Sie sich bitte mit einer E-Mail an gesundheit@sondersitzung.berlin.

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