Sondersitzung GESUNDHEIT: Antibiotikaresistenz
Verfasst von Svenja Brink am 18.10.2019 unter Unternehmensnews
Sondersitzung GESUNDHEIT war zum zweiten Mal zu Gast im Deutschen Bundestag: Im Fokus stand das hochaktuelle Thema der Antibiotikaresistenzen! Die Bilder vom Frühstücksgespräch finden Sie hier.
Am 17. Oktober diskutierten 70 Experten und Interessierte, Abgeordnete, Journalisten und Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft das hochrelevante Thema der Antibiotikaresistenzen.
Schirmherr der 2. Sondersitzung GESUNDHEIT war Prof. Dr. Andrew Ullmann, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Gesundheit. Als Universitätsprofessor und Arzt für Innere Medizin und natürlich als Mitglied des Deutschen Bundestages fand Ullmann zum Auftakt deutliche Worte mit Blick auf die Zukunft: „Ärzte könnten irgendwann keine Waffen mehr in den Händen halten.“ Doch die Herausforderungen seien nicht nur pharmazeutischer Natur, sondern ebenso strukturell verankert: In lediglich rund der Hälfte der 2.000 Krankenhäuser in Deutschland sei überhaupt eine Hygienefachkraft vorhanden, jene dringend benötigten Experten. Ein Facharzt für Infektiologie sei dringend erforderlich, um der bedrohlichen Lage Herr zu werden. Gleichzeitig plädierte Ullmann für mehr Forschung sowohl von öffentlicher als auch privatwirtschaftlicher Seite. Analog zur „Nationalen Dekade gegen den Krebs“ forderte er eine „Dekade gegen Infektionskrankheiten“, um die Relevanz des Themas fest zu verankern und konkrete Maßnahmen zur Bewältigung auf den Weg bringen zu können.
Prof. Dr. Petra Gastmeier vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité in Berlin erläuterte in ihrer Präsentation, dass es pro Jahr in Deutschland 55.000 Patienten gebe, die eine Infektion mit einem multiresistenten Erreger aufweisen. 2.400 dieser Infektionen enden jedes Jahr für die Betroffenen tödlich. Während bei MRSA noch ausreichend Therapiemöglichkeiten existierten, sehe es bei den sogenannten gramnegativen multiresistenten Erregern (kurz: MRGN) bedrohlicher aus. Bei den 4MRGN hätten alle wichtigen Antibiotikaklassen ihre Wirksamkeit verloren. Dabei gelte: Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, umso mehr multiresistente Erreger existieren. Allerdings hob sie hervor, dass in Deutschland im ambulanten Bereich eine erhebliche Reduktion des Antibiotikaeinsatzes um rund 21 Prozent in den Jahren 2010-2018 stattgefunden habe. Demgegenüber bliebe dieselbe positive Entwicklung im Krankenhaus jedoch noch aus. Gastmeier betonte zudem: „Bei Antibiotikaresistenzen handelt es sich um ein globales Problem, das global angegangen werden muss.“ In anderen Regionen der Welt, insbesondere in einigen der aufstrebenden BRICS-Staaten, gebe es beispielsweise Antibiotika ganz ohne Rezept, ein großes Problem für die weltweite Resistenzentwicklung.
Laut Prof. Dr. Mathias Pletz vom Universitätsklinikum Jena bewege sich der Umgang mit Antibiotikaresistenzen zwischen „Ignoranz und Hysterie“. Dabei gebe es ganz konkrete Punkte an denen man ansetzen könne, um die Lage konsequent zu entschärfen. Dazu gehöre auf jeden Fall eine bessere und schnellere Diagnostik. Ärzte müssten sich immer fragen, mit welchem Erreger sie es zu tun haben, um dann gezielter und mit einem schmaleren Spektrum behandeln zu können. Zudem machte Pletz deutlich, dass die Infektiologie „zwischen allen Stühlen sitze.“ Da sie kein Organfach sei, bekomme sie automatisch weniger Interesse. Eine große Herausforderung sei zudem die Tatsache, dass Infektiologen keinen direkten Umsatz generieren. Im Übrigen müsse unbedingt ein Infektionsschutzbeauftragter in allen Krankenhäusern verpflichtend eingeführt werden, dann werde es zukünftig auch mit besserer Krankenhaushygiene, Antibiotic Stewardship und wachsendem Wissen in der Infektionsbiologie voran gehen.
Dr. Klaus Schlüter von MSD Deutschland vertrat auf dem Podium die Sicht eines forschenden Pharmaunternehmens. Er erinnerte daran, dass die Forschung an neuen Wirkstoffen „hoch risikoreich“ sei, denn der klinische Einsatz sei nicht gewährleistet. Er sprach sich deutlich für eine Verstärkung der Kooperation von Industrie und Universitäten aus. Als positives Beispiel führte er die partnerschaftliche Entwicklung eines Ebola-Impfstoffes an, welcher bald die Zulassung erhalten wird. Gleichzeitig bedaure er, dass Public Private Partnerships in Deutschland sowohl rechtlich, politisch als auch medial oft kritisch beäugt würden. Die frühe Nutzenbewertung neuer Antibiotika im AMNOG-Prozess sei zudem ein Hemmschuh für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel gegen bakterielle Erreger.
Als Veterinärmediziner brachte Prof. Dr. Stefan Schwarz von der Freien Universität Berlin noch ganz andere Punkte in die Podiumsdiskussion ein. Laut seiner Aussage sei in Bezug auf den Tierbereich bereits einiges erreicht worden. Schwarz benannte das Nationale Resistenzmonitoring des BVL, das deutschlandweite Überwachungsstudien zur Resistenz bei Bakterien von Nutz- und Heimtieren durchführt. Die Ergebnisse des Monitorings fließen dann in die Entscheidung der Tierärzte bei der Antibiotikavergabe ein. „Seit 2011 haben wir eine drastische Reduktion des Einsatzes von Antibiotika. Bis zum Jahr 2017 hat dieser sich um 57 Prozent reduziert.“ Schwarz betonte, dass Humanmedizin und Veterinärmedizin bereits in sehr konstruktivem Austausch miteinander stünden, um Multiresistenzen besser verstehen und Begegnungsstrategien entwickeln zu können. Frau Gastmeier pflichtete dem Appell bei, dass jedoch jede Fachrichtung vor der eigenen Türe kehren müsse, denn die Erreger seien nicht dieselben.
In der anschließenden Diskussion mit den Gästen wurde deutlich: Es bleibt viel zu tun! Antibiotikaresistenzen müssen weiter diskutiert werden, Strategien sind notwendig, um sie zu stoppen und ihnen zu begegnen. Die Diskussion muss dabei nicht nur in der Bundespolitik, sondern auch in den Ländern geführt werden. Dabei müssten branchenübergreifend sehr heterogene Dialogpartner in Austausch gebracht werden, denn Lösungen müssten von zahlreichen unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft und Wirtschaft erbracht und umgesetzt werden. Auch Big Data könne neue Wege bereithalten.
Neben der Suche nach Strategien für Deutschland müsse aber stets betont werden: Multiresistenzen machen an keiner Grenze Halt. Wirkliche Lösungen müssten daher zwingend global gedacht werden. Ein internationaler Fond zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten könnte eine Lösung sein. Dieser sollte von den G7- oder den G20-Staaten angestoßen und von der WHO umgesetzt und gesteuert werden. Doch Panzerschränke werden auch weiterhin gebraucht! Die strategischen Wirkstoffreserven dürfen nicht ausgehen.
Sondersitzung GESUNDHEIT wird unter anderem durch unsere Unterstützer ermöglicht. Wir danken daher Kyowa Kirin Deutschland, MSD Deutschland und Pfizer sowie unserem Partner, dem VDI Technologiezentrum.
Das schreiben andere über die Veranstaltung:
Bei Interesse an der Veranstaltungsreihe und einer Teilnahme wenden Sie sich bitte an Nele Herrmann Valente im Berliner Büro von Genius: nele.herrmannvalente@genius.de.
Nächster Termin: Frühjahr 2020, Sondersitzung GESUNDHEIT Digitalisierung.
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